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Bildungslandschaft in Baden-Württemberg

Verfasst: 6. Jul 2003 12:16
von juergen.karl
Vor dem Hintergrund eines Interviews mit unserer Frau Ministerin ("...droht den Lehrern"), den offensichtlich auch politisch profilierungsbedingten Veränderungen in der Bildungslandschaft in BW, der gleichzeitigen Deputatserhöhung an den Gymnasien des Landes und den konzertierten Aktionen nahezu aller Gymnasien, schrieb ich folgenden Leserbrief an den "Mannheimer Morgen", welcher ihn bis heute, warum auch immer, nicht veröffentlichte.
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Und wieder hat unsere Kultusministerin einen Rundumschlag über die Medien gegen uns Lehrer gestartet, anstatt endlich sachlich und vernünftig mit den Kollegien des Landes über die angesprochene Problematik zu diskutieren und sich den Problemen ihrer Lehrerschaft zu stellen. Frau Schavan verkennt vollkommen die Lage, wenn sie ausführt, dass wir trotz der unverkennbaren defizitären Haushaltslage nicht bereit wären, unseren Teil zur Linderung beizutragen. Die jüngsten Sparmaßnahmen sind aber grundsätzlich in einem problematischen Zusammenspiel mit den bereits durchgeführten bzw. in Vorbereitung stehenden Reformen zu sehen. Ständig werden wir mit neuen Projekten konfrontiert die nicht ausführlich erprobt, geschweige denn bis zum Ende durchdacht sind, wie auch nicht reifen können, da weiter munter drauflos „reformiert" wird. Dies alles hat Auswirkung auf die Gesamtsituation der Gymnasien in Baden-Württemberg. Wie anders lässt es sich z.B. erklären, dass die Oberstufenberater des Landes nach Erscheinen des ersten Leitfadens für die neu reformierte Kursstufe feststellen mussten: Fächerkombinationen für Oberstufenschüler waren möglich, die dazu führten, dass Schüler bereits durch das Abitur gefallen waren, ohne je eine Stunde in Klassenstufe 12 besucht! zu haben. Solche und weitere Beispiele lassen sich in unserem Schulalltag beliebig finden. Die Arbeitssituation der Lehrkräfte an den Gymnasien unseres Landes hat sich in den letzten Jahren mehrfach und im Ergebnis entscheidend verschlechtert:
• Die meisten Kollegien leider aufgrund der Einstellungspolitik vergangener Jahre an einer
ungünstigen Altersversorgung, d. h. ein erheblicher Teil der Kolleginnen und Kollegen sind älter als 50 Jahre.
• Die Klassenstärken sind deutlich gewachsen. Und dies bei immer schwieriger werdenden Schülerinnen und Schülern.
• Durch die Arbeitszeiterhöhung und die Einführung des 8-jährigen Gymnasiums werden mehr als 3000 Arbeitsplätze eingespart, die den Referendaren in den nächsten Jahren nicht zur Verfügung stehen. Noch im letzten Jahr z. B. beklagte man sich, dass es nicht genügend Studenten für das Mangelfach Schulmusik gebe und heute werden erstklassig qualifizierte Absolventen mit diesem Fach (eine 1 steht vor dem Komma!) nur auf Warteliste gesetzt. Das verstehe wer will! Gleichzeitig führen die mit der Oberstufenreform, der Einführung der Bildungsstandards, der Entwicklung schuleigener Profile und der Verkürzung der gymnasialen Ausbildung auf 8 Jahre verbundenen tiefgreifenden Neuerungen zu einem Zusatzaufwand (vom immer stärker vom Elternhaus auf die Schule übertragenen Erziehungsauftrag ganz zu schweigen), der bei den meisten Kolleginnen und Kollegen die wöchentliche Belastung der ebenfalls von der Frau Ministerin geforderten 41 Stunden Arbeitszeit pro Woche um einiges übersteigt. Dies sehen auch viele Schulkonferenzen, in denen Schüler und Eltern vertreten sind und welche in den letzten Wochen stattgefunden haben, so: sie haben den von den Gesamtlehrerkonferenzen beschlossenen und auf dem Schulrecht basierenden Maßnahmen zugestimmt. Liebe Frau Ministerin, treten Sie endlich in einen vernünftigen konstruktiven Dialog mit uns, damit wir unser Klientel, die Schülerinnen und Schüler nämlich, weiterhin optimal betreuen können, anstatt der Lehrerschaft, ob aus politischem Profilierungsdrang oder anderen Gründen, ständig zu drohen. Ich möchte auch in den nächsten Jahren noch motiviert und mit Spaß an meinem Beruf in die Schule gehen können!

Jürgen Karl, StD Mannheim